Pfarrer Jakob STEHLE - "PFARRERSVETTER"
Reise in die alte Heimat




Übersicht

40 JAHRE DANACH - EIN BESUCH IN DER HEIMAT


Pfarrer Jakob Stehles Besuch in der alten Heimat


"Mramorak" - so stand es schwarz auf weiß auf dem Ortsschild am Eingang des Ortes, der einmal "unser Dorf" war.


(Familie meines Großvaters, Michael Stehle - Bildband Seite 211)

Zum ersten Mal in meinem Leben darf ich den Namen lesen, den ich bisher nur bei Geburtsangaben mit einem Zungenbrecher ausgesprochen, oder wegen seiner schwierigen Rechtschreibung, buchstabiert habe: M-R-A-M-O-R-A-K. Im Familienkreis hörte ich nur "Mamrak".




Am Mittwoch, den 8.August 1984, nachmittags, erreichten wir, von Pancevo herkommend über Dolova, Mramorak. Wir fahren langsam dem Ort entgegen. Verstohlen mache ich zwei Bilder des Ortsschildes,


für mich mehr als nur billige Erinnerungsfotos. Sie werden für mich zur "Dokumentation der Existenz der Heimat".
Danach fahren wir die Hauptstraße
durch bis zum Gemeindehaus. Wir stellen das Auto ab. In der Diskussion untereinander, ob wir Bilder machen dürfen, treffen wir einen Einheimischen, der einmal als Gastarbeiter in Württemberg war und etwas Deutsch spricht. Wir werden ins Verwaltungsgebäude geführt, doch der Bürgermeister ist nicht da und andere können uns keine Auskunft geben. So gehen wir denn ohne Fotoapparat die Hauptstraße hinunter, um die Häuser der Ahnen zu suchen.



(Familie meines Großvaters, Michael Stehle - Bildband Seite 211)

Es geht vorbei an der rumänischen Kirche und am ehemaligen Gasthaus Fissler, ebenso am Eckhaus von Baumung-Kaufmann, um zum Kirchplatz zu gelangen. Wir stehen vor einem Zaun. Auf dem Platz (wo bis 1959 die evangelische Kirche

stand, bevor sie völlig abgetragen wurde), steht jetzt ein kleines schmuckes Wohnhaus. Die Besitzerin kommt heraus. Sie bestätigt uns, daß hier die deutsche Kirche stand. Es sei kaum möglich im Garten etwas anzupflanzen, da der ganze Platz voller Steine ist. Ich frage mich, was wohl (falls sie gefunden wurden!) mit der Grundsteinlegungsurkunde "unter dem letzten Pfeiler, links, wo die Kanzel steht" geschehen ist?
1886 begannen die Väter Steine zusammenzutragen, um ihr zweites Bethaus in Mramorak durch ein größeres zu ersetzen. Zwei Jahre später konnten sie ihre Kirche einweihen. 60 Jahre später, am 7.November 1948, verließ dann der letzte Mramoraker evangelische Pfarrer, Pfarrer Johannes Lang, den Ort der der Predigt.


1959 wurden die Steine auseinandergerissen und für andere Bauten wohl verwendet. Nicht einmal eine kleine Gedenktafel ist übriggeblieben.
Auf der gegenüberliegenden Seite steht aber das alte Pfarrhaus. Zwei überstrichene Hausnummern kann ich entziffern: Nr.335 und Nr.157. Es sind beides nicht die alten Nummern, wie es im Heimatbuch angegeben ist (Nr.245).

Wir gehen weiter auf der Kirchseite und betreten keck das Gebäude der (ehemaligen) deutschen Volksschule.

Groß und geräumig, so empfinde ich es noch jetzt. Die Tür in den Klassenraum ist mit einer Kette und einem Vorhängeschloß verschlossen. Durch eine Ritze (wie mancher unserer Landsleute mag hier durchgesehen haben!) sehe ich in einen von Staub und Gerümpel übersäten Raum. Einige Möbelstücke könnten noch aus der letzten Zeit des Unterrichts sein. Ich erinnere mich an das Massenlager, das hier nach der Vertreibung aus den Häusern am 28.April 1945, morgens um 5 Uhr, hier errichtet war, bevor man uns im Mai 1945 auf verschiedene Häuser verteilte.
Wir gehen in den Innenhof. Doch dann fallen wir auf. Eine Frau, diesmal nicht so freundlich wei beim Kirchplatz, vertreibt uns durch ihre nicht gerade freundlichen Blicke.

Weiter geht es bis zum Dorfausgang, Richtung Dolovo, wo links der alte Ziehbrunnen stand.


(Von Dolovo herkommend Einfahrt in Mramorak)


Rechts davon steht kein Haus mehr. Auch das Haus meines Großvaters, Michael Stehle (im Heimatbuch Nr.231) steht nicht mehr.



Wir gehen die "Gaß" hinunter in die Senke, um an die ehemalige "Rosenstraße" zu kommen. Dort suchen wir das Haus des Großvaters Jakob Bohland (im Heimatbuch Nr.15). Auch hier viel Neugebautes, Umgebautes und Renoviertes.


(Wohnhaus von Friedrich Kemle - Bildband Seite 41)

Wir kommen an ein Haus, das es sein könnte - ein Neubau wurde errichtet, nur gegen die Maierhöfe steht noch ein Teil des alten Gebäudes mit einem Hambar.



(Ein typischer Hambar und ein überdachter Brunnen und ein Zuchtstier der Gemeinde Mramorak - Bildband Seite 286)

Während die anderen den Rückweg zur Hauptstraße antreten, gehe ich noch einmal die Rosenstraße zurück bis an den Anfang der Felder. Noch einmal möchte ich diese Straße hinunterlaufen. Langsam gehe ich wieder zurück zum angenommenen Bohlanderhaus und denke daran, daß ich hier als kleiner Junge, 1944 im Sommer, wohl barfuß mit meiner Schwester und anderen Kindern gespielt habe.


(Meine Mutter, Katharina Stehle, geb. Bohland, mit meiner Schwester, Elisabeth, vh.Thumm und mir.)

Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Das Gefühlt auf Heimaterde zu laufen, das Wissen, im Geburtsurt zu sein, wo ich einst meinen ersten Schrei von mir gegeben habe, das Wissen um das Lachen und das Weinen der Eltern und Großeltern, der Verwandten und der Nachbarn, das Singen und Arbeiten.
ICH WAR FROH, DASS DIE ANDEREN NICHT UM MICH WAREN: DIESE MINUTEN GEHÖRTEN MIR UND MEINEM GEBURTSORT.
Wer kann dies schonn verstehen, was es für uns Flüchtlinge bedeutet, den Ort wieder zu betreten, der gefüllt ist mit Historie vieler Generationen deutscher Aussiedler.


(Elisabeth Mayer u. Thesesia Raff - Bildband Seite 40)

Wer kann wohl nachfühlen, was es für uns Vertriebene bedeutet, zum ersten Mal im Leben, bewußt das Heimatdorf zu betreten, ein Stück der eigenen Identität zu erfahren.
Es war ein Aufschrei in mir: Dieses Mramorak gibt es wirklich! Plötzlich kam ich mir nicht mehr so "verloren" und "gestrandet" vor: da hat dein Leben angefangen!

Natürlich ist es nicht mehr das "Mamrak", das wir gezwungen war im Oktober/November 1945 zu verlassen. Die wenigen Bilder, die ich versteckt machen konnte, wurden von den Verwandten enttäuscht betrachtet: Es ist nicht mehr das Erscheinungsbild des Heimatdorfes.


(Aus der "alten Zeit" - Kirchweihpaare - links mein Vater (Johann Stehle) und meine Mutter (Katharina Bohland) - Bildband Seite 448.)


Später, während die Freunde am Gemeindehaus sich umsehen, fahre ich mit meiner Frau die Wegstrecke noch einmal ab. Aus dem Auto machen wir hastig und verstohlen Bilder. Wir fahren auch um die große Parkanlage und vorbei an der serbischen Kirche.
Dann verlassen wir das Dorf.


(Ausfahrtstraße - Richtung Dolovo)



Wenn ich jetzt, Monate nach meinem Besuch in der Heimat, an jenen Tag meines Besuches in Mramorak zurückdenke, so weiß ich um jene, zwar nicht erklärbare aber doch erfahrbare Liebe eines Menschen zu seinem Geburtsort. Und obwohl ich sagen kann, daß ich mich als Württemberger empfinde (meine zweite Heimat!), so fühle ich mich doch als "Banater-Deutscher", als ein "Mramoraker".
Nach 40 Jahren - Besuch in der Heimat - in Mramorak - welch ein Erlebnis!



Die Schwabenzüge der letzten Jahrhunderte

Mein erster Besuch in Mramorak nach der Vertreibung
Im August 1984 besuchte ich, zum erstenmal nach der Vertreibung von 1945, mein Heimatdorf.
(Der oben abgedruckte Bericht steht im BILDBAND, Seite 29).



Pfarrer in Kirchentellinsfurt
(Pfarrer Jakob Stehle beim Taufgottesdienst in Kirchentellinsfurt - 2000)


Übersicht - Pfarrer Stehle
(Pfarrer Jakob Stehle beim Gottesdienst mit dem Weilhaukindergarten in Kirchentellinsfurt - 2000)

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[ 40 JAHRE DANACH ]