KRIEGSENDE - LAST - NEUBESINNUNG
Wenn wir auf die vergangenen 50 Jahre zurückblicken - und
einmal von der "Spreu" absehen, so dürfen wir in tiefer
Dankbarkeit auf 50 Jahre Frieden feststellen, daß Gott
unserem Volk über alle Maßen gnädig war. Vieles durfte
getan werden aus dieser Glaubenshoffnung heraus. Und es
wäre Gotteslästerung, würden wir aus Überheblichkeit
menschlichen Denkens heraus wegen aller anderen vieler
Probleme unserer Menschheit das Gute vergessen, das Gott
in den vergangenen 50 Jahren getan hat.
Wir Mramoraker dürfen im Blick auf die vergangenen 50
Jahre in einer neuen Heimat doch wohl den alten Gruß neu
formulierend aussprechen: GOTT HAT GEHOLFEN!
STIMME DER VERTRIEBENEN - STIMME DER VERSÖHNUNG
Und ich will auch auf das andere Dokument der Nachkriegsgeschichte hinweisen, das im Kreis aller Vertriebenen
entstand: die CHARTA DER VERTRIEBENEN, die in Stuttgart
am 5. August 1950 unterschrieben wurde. "Im Bewußtsein
ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen" - so fängt
es an. Und es leugnet nicht die kulturelle Zugehörigkeit
zum "christlich-abendländischen Kulturkreis", ihrer Zugehörigkeit zum "deutschen Volkstum" und, es war wirklich
Weitsichtigkeit! - "in der Erkenntnis der gemeinsamen
Aufgabe aller europäischen Völker". Als erster wichtiger
Satz des Gelöbnisses heißt es dann: "Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß
ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche
Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die
Menschheit gebracht hat.
Klagend klingt es nach: "Wir haben unsere Heimat verloren. Heimatlose sind Fremdlinge auf dieser Erde." Und sie
erinnern daran, daß sie das Schicksal der gewaltsamen
Trennung von ihrer Heimat (als einer geistigen Tötung!)
"erlitten und erlebt" haben.
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NEUER WEG IN UND MIT EUROPA
Ist auch, liebe Männer und Frauen, die Erwartung Wirklichkeit geworden, daß "Die Völker der Welt ihre Mitver¬
antwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der
vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen" empfinden? Das Fragezeichen muß wohl - auch noch 50 Jahre da¬
nach - gesetzt werden!
Wir Heimatvertriebenen wissen uns solidarisch mit allen
Volksgruppen in Europa, denen der Krieg unermeßliches
Leid zugefügt hat. Und wir wollen es auch nicht vergessen: Das Leiden der durch den Nationalsozialismus ver¬
folgten und überfallenen Völker - das Leid der Geschwister Jesu - der JUDEN, das Leid der christlichen Geschwi¬
ster - der POLEN und das Leid aller anderen Nationen, die
zuerst geknechtet und dann in die Kriegswirren gezogen
wurden. Wer aber die gottlose Diktatur eines Hitlers auf
das Konto der Heimatvertriebenen schreiben will, begeht
historische Verfälschung.
Es war kein Geringerer als der damalige württembergische
Landesbischof Theophil Wurm, der am Himmelfahrtsfest
1945, es war der 10. Mai, der neben den mutigen Worten
des Schuldbekenntnisses auch Worte der Zurückweisung
fand:
So sagte er:
"... Unser Volk war mehr menschengläubig als gottgläubig...Wir bekennen unumwunden, daß auch die gläubigen
Christen mehr Glaubensmut hätten zeigen sollen und daß
die, die Zeugnis ablegten gegen Unrecht, Gewaltat und
Lüge, oft recht allein standen."
Gleich danach wendet er sich jedoch an die historische
Verfälschung und sagt:
"... Wenn aber neuerdings in Rundfunksendungen behauptet wird, daß das deutsche Volk niemals gegen verbrecherische Handlungen protestiert habe und deshalb in
seiner Gesamtheit mitverantwortlich gemacht werden
müsse, so möchte ich doch der Gemeinde aus einem der
Schriftstücke, die an die Reichsregierung abgegangen
sind, einen Abschnitt vorlesen.."
Und dann zitiert er aus einem Wort der Evangelischen Kirche vom 18. Juli 1943.
(Quelle: Arbeit und Besinnung, Nr.8, 15.April 1995, Seite
312ff)
Die Nationen können nur einen neuen Weg gehen, wenn
VERGEBUNG und VERSÖHNUNG Leitmotive aller bleiben. Eine
Aufrechnung von Schuld steht uns Menschen weder an, noch
entspricht es der Wirklichkeit menschlicher Existenz,
noch aber bringt es Zukunft. Allen, die sich auf ihren
christlichen Glauben berufen, egal welcher Nationalität,
steht jenes Gebet Jesu an, das wir immer beten: "Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren
Schuldigern". Und der Apostel Paulus sagt: Da ist keiner,
der gerecht wäre, auch nicht einer!"
Und um nochmals Landesbischof Wurm zu zitieren:
"... diesem Geist der Gewalt treten die Jünger Jesu entgegen, und zeigen durch ihr Beispiel, daß Vergebung besser ist als Vergeltung und daß der, der bereit ist zu
vergeben, stärker ist als der, der dem Trieb zur Vergeltung folgt."
Ende der Geschichtsabhandlung (noch in Bearbeitung!)
Jakob Stehle, Pfarrer
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