50 Jahre Landesverband der Donauschwaben

Festpredigt : Pfarrer Jakob Stehle, Kirchentellinsfurt



Liebe donauschwäbische Landsleute,
verehrte Gäste,
liebe Gemeinde!


(1)

Jubiläen haben es so in sich, daß man in die Vergangenheit blickt. - Und ich denke, das ist gut so, denn:
Wer seine Geschichte nicht kennt,
der kann nicht einordnen, was er in der Gegenwart besitzt
und welche Hoffnungen er für die Zukunft haben darf.


Pfarrer Stehle ULM - 15.9.2002


(2)
Wir haben im ersten Teil der Predigtansprachen durch Prälat Burger - ein Erlebniszeuge! - gehört, was uns Donauschwaben alles geschehen ist.
Es ist eine Geschichte des Leidens! Unermeßliches Leid kam über die Frauen und Männer und Kinder deutscher Sprache im ehemaligen Jugoslawien.

Menschen waren uns feind und haben Rache genommen für Unrecht, das auch sie durch eine ungerechte Politik erlebt haben.

Nur weil wir Deutsche waren, wurden wir zu Feinden gestempelt.
Man hat uns aus den Häsuern vertrieben und in Hungerslager gesteckt.
Man hat zugesehen, wie unsere Alten und Kranken - Erwachsene und Kinder - verhungert sind.
Furchtbares - Schweres - Unmenschliches!

(3)
Aber all das - die Erlebnisse der Vergangenheit - soll für die Überlebenden eine Bedeutung haben. Wir sollen es nicht verdrängen und wir sollen es nicht vergessen, wir sollen es aber als Christenmenschen richtig einordnen.

Der Bibeltext, der heute an diesem 16.Sonntag nach Trinitatis in den evangelischen Kirchen gepredigt wird, will uns dabei helfen:
Der Text: (Hebräer 10,35-39)
"Darum - werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.
Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfanget.
Denn nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben.
Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben.
Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm. (Habakuk 2,3.4)
Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten."

(4)
Liebe Gemeinde,
von großen, christlichen Bekenntnisworten ist hier die Rede. Worte, die in unserer Geschichte der Vertreibung und der Ansiedlung in einer neuen Heimat von Bedeutung sind:
  • Anfechtungen, Vertrauen aufzugeben!
  • Die Gefahr, Geduld zu verlieren!
  • Die Frage nach dem Sinn allen Erlebtens.
  • Ausschauhalten nach einem positiven Ergebnis.
  • Und das Nachsinnen, was wohl Gott mit all dem bei uns erreichen wollte.

    Es ist ein Wort, das sowohl das Volk Gottes als auch den einzelnen Glaubenden anspricht:
    "ihr Vertrauen, ihre Zuversicht,
    die sie in früheren, schwierigen Zeiten getragen hat,
    nicht wegzuwerfen, sondern wissen,
    daß auch der schwerste Weg vom Sinn getragen ist:
    GOTT MIT UNS!"

    (5)
    Liebe Gemeinde,
    ich bin mir bewußt, daß diese Worte für viele - vor allem jenen, die so viel Schweres durchgemacht haben - wie eine Zumutung dasteht:

  • Was hat uns unser Glaube genützt?
  • Was haben wir mit unserer Geduld erreicht?
  • Wo sind Gottes Verheißungen geblieben?
  • Welchen Lohn haben wir für unsere Treue bekommen?

    Und ich möchte allen Angefochtenen sagen: Ja, Deine Fragen darfst Du äußern! Du darfst wissen, daß das gerade in einem Christenleben immer wieder neu die große Herausforderung ist:
    "Vertrauen wegzuwerfen,
    auf keine Belohnung mehr zu hoffen,
    die Geduld zu verlieren
    Verheißungen zu vergessen!"
    (6)
    Und genau für solche Leute ist dieses Bibelwort gedacht - für alle Angefochtenen - für alle Verfolgten und Gequälten - für alle, die mit ihren Herzensfragen bei Menschen keine Antwort finden.
    Jemand hat diesen Text deshalb auch überschrieben mit: EIN WORT FÜR SCHWANKENDE!

    Und was will uns dieses Wort nach all unseren Erlebnissen der letzten 50 Jahre und der davorliegenden Jahre der Vertreibung und der Schmach sagen?


    ERSTENS:   GOTT WEISS UM EUER LEID!

    Einige Verse vorher im 10.Kapitel des Hebräerbriefes wird nämlch vom großen Kampf des Leidens geredet.

    Es werden die Schmähungen zur Sprache gebracht - z.B. jene im Hungerslager Rudolfsgnad, wo der Partisane geschrien hat:
    "Wo ist euer Gott!
    Ich bin euer Gott!"

    Es wird geredet von den Bedrängnissen und von dem Leiden der Gefangenen und vom Raub ihrer Güter.
    Ich sehe darin auch aufgehoben das Weinen der Mutter in Rudolfsgnad, als ihr Kind sterbenskrank wurde - als sie allen ihren Schmuck, der ihr noch verblieben war - bei einem Bäcker für ein Brot und etwas Mehl einsetzte.

    Das Wort der Schrift sagt uns: Gott weiß um euer Leid!

    ZWEITENS:  GOTT WAR NICHT UNTÄTIG!

    In unserem Text wird geheimnisvoll von einem "Gerechten" geredet. Dies lebt nicht aus dem, was er sieht und was er hat - er lebt aus "Glauben". Damit ist jenes tiefe Gottvertrauen gemeint, das inmitten allem Leid an Gott festhält, daß er der lebendige Gott ist und daß er nie und nimmer diese Welt und seine Menschen dem Unheil, dem Bösen, der Ungerechtigkeit übergeben hat.

    Ja, Gott ist nicht untätig gewesen weder in unserer jüngsten Geschichte, noch in der Geschichte unserer Vorfahren, noch aber in der Geschichte seiner Kirche noch aber in der Geschichte seines Volkes Israel.
    Deshalb ist es notwendig immer wieder neu in die Geschichte zu blicken um die Spuren der Taten Gottes zu sehen.

    Wir Christen wissen um Gottes größte Tat - um den "Gerechten", der in diese Welt gekommen ist.
    Sein Leben und sein Leiden beinhalten die Geschichte der ganzen Menschheit aller Zeiten.

    Sein Kreuz und sein Leiden haben sozusagen alles aufgesogen an Kreuz und Elend der Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft.

    Wir sehen IHN als den GEDULDIGEN und IHN als den, der GLAUBEN nicht aufgegeben hat.

    Wir sehen IHN, der der Bosheit nicht ausgewichen ist, der nicht zurückgewichen ist, der auch in höchster Not sowohl den Vater im Himmel als auch die Menschen auf Erden sah:
  • Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist!
  • Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.

    DRITTENS:   GOTT HAT ETWAS MIT UNS VOR

    Zwischen all den vielen Versen, wo von Schmähungen und Schande, Verfolgung und Leiden geredet wird, sind Wort der Zuversicht eingestreut:
  • Vertrauen hat eine große Belohnung!
  • Durch Geduld lernt ihr den Willen Gottes tun!
  • Diesem "Glaubens-Tun" ist die Verheißung gegeben.
  • Alles Leiden hat eine Zeitbegrenzung!
  • Gerechtigkeit sieght über die Ungerechtigkeit!
  • Denen, die an Gott festhalten, ist Rettung verheißen.

    Ja, Gott hat etwas mit uns vor!

    Das ahnte jene Mutter in Rudolfsgnad wohl, als sie nicht aufhörte zu beten und zu singen - daß ihr Kind einmal beten würde und Gottes Lob singen würde!

    Das ahnte sie wohl, als sie inmitten allen Schmähungen sich nicht der Sprache des Hasses bediente, sondern Worte der Liebe und des Verständnisses sprach - daß ihr Kind einmal - in einer neuen Heimat - Verständnis gewinnen sollte und auch Worte der vergebenden Liebe, damit das neue Leben nicht von vornherein vergiftet wäre.

    Das ahnte jene Mutter wohl, daß der Augenblick des Leidens nicht Gottes letztes Wort war und wagte es, mit ihren Kindern in eine neue Zukunft zu schreiten.

    Und Gott hat seine Verheißungen erfüllt:
  • Sie durfte eine neue Heimat finden!
  • Arbeit und Lohn, Brot und Wohnung fand sie!
  • Sie durfte erfahren, wie schön es ist in der neuen Heimat die Gottesdienste zu besuchen!
  • Und sie durfte erleben, daß ihr Kind, das beinahe vom Hunger aufgefressen war, zum Boten der Liebe Gottes und seiner Veröhnung wurde.

    Das ist nur ein Beispiel von Tausenden - vielleicht sogar, daß Ihr Lebensbeispiel diesem gleicht.

    Liebe Gemeinde,
    deshalb dürfen wir heute - auch im Blick auf 50 Jahre der Partnerschaft zwischen dem Land Baden- Württemberg und uns Donauschwaben voller Dank sein:
  • unserem Herrgott gegenüber
  • aber auch unseren Mitmenschen in diesem Land.

    Deshalb - weil wir das alles erfahren durften/mußten - "werfen wir unser Vertrauen nicht weg!" - In Christus Jesus dürfen wir wissen, daß wir leben dürfen - aus Glauben und aus der Liebe Gottes: des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
    Amen



    Predigtansprache von Pfarrer Jakob Stehle
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